Ursachen, Diagnose und Therapie – was ihr unbedingt über einem Hörsturz wissen müsst
Jährlich erkranken in Deutschland 150.000 Menschen an einem Hörsturz. Die Betroffenen sind meist zwischen 50 und 60 Jahre alt. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. In vielen Fällen heilt er ohne weitere Therapie aus. Die Ursache ist nicht geklärt. Es handelt sich um ein Geschehen, bei welchem ungünstige Faktoren zusammentreffen: Stress, Lärm und Entzündungen des Innenohres verstärkt durch Depression, Angst und Diabetes mellitus. Ein Zusammenhang mit Zähneknirschen und Veränderungen der oberen Halswirbelsäule erscheint wahrscheinlich.
Der aktuelle Fall: Hörsturz und Tinnitus
Peter M. ist 42 Jahre alt, verheiratet und Vater von 2 Kindern. Seine Frau ist schwanger. Seine Arbeit als Lehrer verrichtet er im Homeoffice. Es zerrt an seinem Nervenkostüm. Seine Nerven liegen blank. Eines morgens erwacht er mit einem Ohrdruck auf dem rechten Ohr. Er hat das Gefühl, dass seine rechte Gehirnhälfte gegen die Mittellinie gepresst wird. Es pfeift und zischt im Ohr. Die Geräusche sind unbeschreiblich.
Unsicherheit auf den Beinen erinnern ihn an einen morgendlichen Kater nach einer durchzechten Nacht. Er fährt Karussell.
Der Trost der Ehefrau: Das ist Cerumen, einfach harmloses Ohrenschmalz. Im Laufe des Tages bessern sich Beschwerden. Der Schwindel nimmt ab, das Geräusch wird leiser. Das Hören bleibt unverändert.
In der Nacht erwacht er mit einem heftigen Pfeifen, er kann sich kaum auf den Beinen halten. Er hört auf dem Ohr nichts mehr.
Angst und Panik erfassen ihn.
Habe ich einen Schlaganfall?
Dieser Gedanke geht ihm durch den Kopf.
Seine Frau bringt ihn in die nächste HNO-Klinik. Schon nach kurzer Untersuchung stellt der Klinikarzt die Diagnose: Peter hat einen massiven Hörsturz auf dem rechten Ohr. Die Begleitsymptome Schwindel und Ohrenrauschen gehören dazu.
Was nun? Der Klinikarzt schimpft mit Peter. Warum ist er nicht sofort gekommen? Er wisse doch bestimmt, dass ein Hörsturz ein Eilfall ist. Er schlägt eine stationäre Therapie vor. Peter lehnt ab.
Der Arzt verordnet Kortison für 7 Tage. Peter ist erstaunt, dass sein Kasse das Arzneimittel nicht bezahlt. Der Arzt erklärt, dass es sich bei dem Gebrauch um einen off–label–use des Arzneimittels handelt. Die Wirksamkeit ist noch nicht bewiesen. Und es hat keine Zulassung für die Hörsturz- Behandlung.
Peter stellt sich nach drei Tagen besorgt in meiner Praxis vor. Er ist taub auf dem betroffenen Ohr. Im Hörtest zeigt sich eine völlige Ertaubung des rechten Ohres. Bei der Untersuchung des Gleichgewichtsorgan ist auch dieses ausgefallen.
Ich überweise ihn notfallmäßig in die Klinik. In der Universitätsklinik erfolgt eine Tympanoskopie. Bei dieser Operation wird das Trommelfell eröffnet und das Ohr mit speziellen Optiken untersucht.
Alarmsymptome beim Tinnitus
Die Betroffenen berichten über ein „Wattegefühl“ im Ohr. Häufig nehmen sie harmlose Ursachen an: Ohrenschmalz. Begleitbeschwerden sind Ohrgeräusche und ein sehr belastendes Druckgefühl im erkrankten Ohr. Bei einem Drittel der Patienten treten Schwindel und eine Gangunsicherheit auf. Die quälende Empfindlichkeit für Geräusche erhöht den Leidensdruck–die Stimmen der Kinder, das Lachen der Ehefrau oder ein hupendes Auto. Dieses Phänomen wird als Hyperakusis bezeichnet.
Die Alarm- Symptome sind:
eine einseitige Hörminderung, selten beidseitig
Druckgefühl im Ohr oder der betroffenen Kopfhälfte
leichter Schwindel bis hin zur völligen Gangunsicherheit
Ohrgeräusche
Hörsturz und Blut
Die Kernspin- und Computertomografie und umfangreiche weitere Untersuchungen lösen das Rätsel nicht. In Peters Geschichte sind ein guter HNO-Arzt oder HNO-Ärztin gefragt. Er setzt die einzelnen Puzzle-Teile zu einer gesicherten Diagnose zusammen.
Wissenschaftler nehmen an, dass es zu einer Durchblutungsstörung und einer Entzündung im Innenohr kommt. Die Ursachen sind:
Durchblutungsstörungen (z.B. Krämpfe der Blutgefäße, Thrombose, Embolie)
Autoimmunerkrankung, der Körper wendet sich gegen sich selbst
Virusinfekte
veränderter Stoffwechsel mit Nährstoff- Minderversorgung
Die Blutversorgung der Nervenzellen ist vermindert. Zellschäden des Hörnerven sind die Folge. Das Ohr nimmt den Schall nicht auf und kann es nicht an das Gehirn weiterleiten.
Hörsturz und Schlaganfall
Hörsturz und der Schlaganfall sind auf eine verminderte Durchblutung zurückzuführen. Peter muss überlegen, ob er sein Leben so weitergestalten möchte. Oder verändert er Gewohnheiten?
Prognostisch günstig sind seine körperliche Fitness, die stabile familiäre Beziehung und seine gesicherten sozialen Verhältnisse. Er leidet nicht unter einer Zuckerkrankheit oder einem erhöhten Blutdruck. Wenn nur nicht dieser tägliche Stress als Lehrer wäre!
Eine sichere Vorhersage ist bei Peter nicht möglich. Mögliche Komplikationen sind in diesem Fall nicht sicher abzuschätzen. Die Zeit wird es zeigen.
Südkoreanische Wissenschaftler konnten beweisen, dass Patienten mit einer plötzlichen Ertaubung ein doppelt so hohes Risiko für einen Schlaganfall haben.
Hörsturz und Notfall
Der Hörsturz heilt in den ersten 72 Stunden häufig spontan aus. Eine Behandlung ist nicht in jedem Fall erforderlich. Er ist kein Notfall sondern ein medizinischer Dringlichkeitsfall. Das bedeutet, dass Peter zwischen vom Auftreten der Beschwerden 1 bis 3 Tage Zeit hat, bis der HNO-Arzt mit der der Behandlung beginnt.
Hörsturz und technische Untersuchungen
So wie Peter geht es anfangs vielen Patienten. Sie denken nicht an einen Hörsturz. Nach der Verschlechterung der Beschwerden hat er einen Arzt aufgesucht. Das wichtigste: Ruhe bewahren! Und das zweitwichtigste: Ruhe bewahren!
Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist der Fachmann für die Untersuchung, die Diagnose und Behandlung bei Ohrgeräuschen, Schwindel und Tinnitus. In der Praxis wird das Gehör mit verschiedenen Testverfahren überprüft.
Im Einzelfall erfolgt eine Kernspin- oder Computertomografie des Kopfes.
Hörsturz und Heilung
Bei Peter war der schnelle Therapiebeginn richtig. Der Erfolgsquote ist dann 50 bis 80 % hoch. Ein verzögerter Beginn ist bei leichten Hörstürzen bis zu drei Tagen möglich.
Hörsturz und Therapie
Die Behandlung des Hörsturzes ist in den Leitlinien (Hörsturz–AWMF) der Deutschen Gesellschaft für Hals–Nasen–Ohrenheilkunde geregelt.
In dieser Leitlinie kann Peter sich über den aktuellen Stand informieren. Die Leitlinie empfiehlt das folgende Vorgehen:
leichter Hörsturz: Nach Absprache mit dem HNO-Arzt maximal 3 Tage abwarten und auf eine Spontanheilung hoffen. Ruhe bewahren!
spätestens nach 72 Stunden hochdosiert Kortison für 3 bis 7 Tage. Ein Magenschutzpräparat ist erforderlich.
Sind Schritt 1 und 2 ohne Erfolg? Als "Reservetherapie" die intratympanale Kortisonbehandlung anwenden. Drei bis sechs schmerzlose Injektionen in das Mittelohr und die Injektion von Kortison.
Hörsturz und Kosten
Die Krankenkassen müssen die Kosten für die Arzneimittel nicht übernehmen. Das ist für Peter völlig unverständlich. Er ist doch krank!
Die Leistungsverweigerung der gesetzlichen Krankenkassen ist juristisch nicht zu beanstanden:
der off-label-use
der fehlende Nachweis der Wirksamkeit
Das Kortison wird off-label–use eingesetzt. Es hat für die Behandlung von Hörsturz, Tinnitus und Schwindel keine Zulassung, darf sehr wohl auf Verordnung eines Arztes in die Therapie eingebunden werden. Die Kasse darf in diesen Fällen die Kosten nicht übernehmen.
Studien konnten eine nur mäßige Wirksamkeit nachweisen. Auch dieses schließt eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen aus.
Peter muss die Arzneimittel bezahlen. Die Medikamente werden in der Apotheke unter Vorlage eines Rezepts gekauft.
Die privaten Versicherungen übernehmen erfahrungsgemäß die Kosten in vollem Umfang.
Hörsturz und Prognose
Die Vorhersage lässt sich in Peters Fall nicht sicher treffen. Prognostisch günstige und ungünstige Faktoren sind in der Waage. Günstig ist das junge Alter. Er leidet nicht an zusätzlichen chronischen Krankheiten. Der Behandlungsbeginn erfolgte schnell. In der Vergangenheit gab es keine Vorerkrankungen im Ohr. Hinweis auf eine schlechte Prognose sind die Ertaubung, der Schwindel und die Ohrgeräusche. Und ganz wichtig: Die chronische Überlastung im Beruf.
Hörsturz und Operation
Die Kortisontherapie ist bei Peter erfolglos. Unter der Behandlung ertaubt er auf dem rechten Ohr. Bei massiven Hörverlusten bis hin zur Ertaubung kann eine Operation notwendig werden. Die wahrscheinliche Ursache sind feine Risse im Innenohr, aus denen die Nährflüssigkeit des Innenohres abläuft. Im Sinne des Wortes: Durch den Flüssigkeitsverlust vertrocknen die Sinneszellen im Ohr.
Bei der Tympanoskopie wird in Vollnarkose das Mittelohr untersucht. Der Ohrchirurg erkennt unter dem Operationsmikroskop die feinen Risse und deckt sie mit einem Material ab. So war es auch bei Peter. Schon 1 Woche nach dem kleinen Eingriff besserte sich das Hören deutlich. Drei Monate nach der Operation hat er immer noch eine mittelschweren Hörverlust.
Hörsturz und HBO
Die HBO (Hyperbare Oxygenierung) wird im Volksmund als Druckkammer bezeichnet. Bei ihr atmet der Patient reinen Sauerstoff unter erhöhtem Umgebungsdruck, wodurch dieser sich besser im Blut löst.
Im Einzelfall kann diese Therapie ein zu betrachtendes Verfahren sein. Die Druckkammer hat auch Nachteile. Sie eignet sich nur für gesunde, tauchtaugliche Patienten.
Im Einzelfall sind 10 - 20 Behandlungen erforderlich. Der finanzielle Aufwand von 2.500 € bis 3.000 €, den der Patient aus eigener Tasche aufbringt, ist beträchtlich. Eine Übernahme ist durch die Krankenkasse ist ausgeschlossen. Und nur wenigen Fällen steht heimatnah eine Druckkammer zur Verfügung.
Die privaten Versicherungen übernehmen im Einzelfall und auf Antrag die Kosten teilweise oder vollständig.
Hörsturz: Ambulant oder stationär
Peter hat einen mittelschweren Hörsturz. Nach den Leitlinien wird dieser ambulant behandelt. In begründeten Ausnahmefällen auch stationär. So bei Peter, nachdem er auf dem Ohr ertaubt ist und starken Schwindel bekommen hat.
Gründe für eine stationäre Behandlung:
Eine starke Beeinträchtigung des sozialen Gehörs.
Eine ambulanten Therapie ist ohne Erfolg.
Gleichgewichtsbeschwerden.
Begleiterkrankungen, die eine Betreuung unter stationären Bedingungen notwendig macht (z. B. entgleiste Zuckerkrankheit).
Berufliche Betroffenheit (z. B. Dirigent).
Die stationäre Behandlung muss bei den Krankenkassen oder bei der „gemeinsamen örtliche Sozialstelle der Rehabilitationsträger“ (§ 22 (1) SGB IX) beantragt werden.
Hörsturz und Hörgerät
Ja, Peter benötigt nach drei Monaten dringend eine Hörhilfe. Sein Ohr hat sich nicht vollständig erholt. Eine leichte bis mittelgradige Schwerhörigkeit ist geblieben.
Der HNO–Arzt stellt eine Hörgeräteverordnung aus. Mit dieser geht Peter zu einem Akustiker seiner Wahl. Dort kann er verschiedene Modelle probe tragen. Die Kostenübernahme erfolgt durch die Krankenversicherung.
Hörsturz und Cochlea-Implantat (CI)
Peter kann sehr gut mit einem herkömmlichen Hörgerät versorgt werden. Ein Cochleaimplant ist nicht erforderlich. Liegt der Hörverlust bei mehr als 60 % ist es eine sinnvolle Alternative.
Das Gerät besteht im Wesentlichen aus einer Elektrode und einem Sprachprozessor.
Erstere wird in das schwer geschädigte Ohr, um ganz genau zu sein in die Schnecke, implantiert. Der Sprachprozessor am Hinterhaupt. Der Prozessor nimmt die akustischen Informationen auf und leitet sie über die Sonde zur Hörschnecke.
Eine entsprechende Operation und Anpassung finden in spezialisierten medizinischen Einrichtungen statt. In der Regel sind es Universitätskliniken.
Hörsturz und andere Krankheiten
Bei Zuckerkrankheit, Bluthochdruck oder sehr geschwächten Patienten ist eine Kortisonbehandlung eine abschreckende und gefährliche Behandlung. Nebenwirkungen sind wahrscheinlich. In diesen Fällen kann in Absprache mit dem Patienten eine intratympanale Kortisonbehandlung erfolgen.
Hörsturz und Kinder
In dieser Altersgruppe ist das Krankheitsbild ein äußerst seltenes Geschehen. Eine Anpassung der Dosis erfolgt nach dem Körpergewicht und in Absprache mit dem Kinderarzt.
Hörsturz und Schwangere
Auch bei Schwangeren ist eine Behandlung mit Kortison möglich. Der HNO-Arzt spricht das Vorgehen mit dem behandelnden Gynäkologen ab. Die Behandlung sollte stationär stattfinden.
Wie geht es Peter heute?
Er kommt gut mit dem Hörgerät zurecht. Die Gewöhnung an das medizinische Hilfsmittel gelingt gut. Seine beruflich anspannende und nervtötende Lebensweise ist unverändert. Das Risiko eines erneuten Hörsturzes ist hoch.
Hinweis:
Bei dem vorliegenden Artikel handelt es sich um eine sachliche Information meiner Leser über ein komplexes Krankheitsbild, dass noch nicht geklärt ist. Sie ersetzt keine ärztliche Beratung.
Peter ist ein fiktiver Patient. Er repräsentiert meine jahrelangen Erfahrungen bei der Untersuchung und Behandlung von Hörsturz- und Tinnituspatienten als Arzt und Psychotherapeut.
Jeder Hörsturz, Schwindel oder Tinnitus ist ein Fall für den HNO-Arzt. Eine ärztliche Untersuchung und Behandlung müssen rasch erfolgen. Der Artikel ersetzt in keinem Fall den Besuch bei einem Arzt.
Er darf diesen auch nicht verzögern.
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